Zeitzeugen

Bericht der Zeitzeugenwoche 2023

„Wir müssen die Erinnerungen wachhalten, damit so etwas Schlimmes nie wieder passiert.“

 

Das ist der Antrieb der Zeitzeugen und des Pfarrers Klaus Endter, die am Freitag, den 29. September 2023 zu Gast in der Leibnizschule waren.

 

Das Zeitzeugengespräch hat bereits lange Tradition an der Leibnizschule und wurde auch in diesem Jahr von Frau Kampe und Frau Wahl in Zusammenarbeit mit dem in Frankfurt ansässigen Verein „Zeichen der Hoffnung – ZNAKI NADZIEI“ organisiert. Der Verein ist eine Initiative der evangelischen Kirche für eine bessere Zukunft von Polen und Deutschen. Pfarrer Klaus Endter leitete den ersten Teil des Zeitzeugengespräches.

 

Die Zeitzeugen Bogdan Bartnikowski und Barbara Doniecka kennen die Leibnizschule bereits aus dem vergangenen Jahr und so freuen wir uns sehr, dass sie und auch Herr Branecki sowie Frau Podbielska den weiten Weg aus Polen auf sich genommen haben, um einerseits den Leibnizschülern und Leibnizschülerinnen von ihren Erlebnissen der Kriegsjahre zu berichten und um andererseits mit ihnen direkt ins Gespräch zu kommen. Mithilfe von Dolmetschern war dies überhaupt kein Problem. Gerade dieser Austausch sei in der heutigen Zeit besonders wichtig, in der man erschreckende Tendenzen innerhalb der Politik und Teilen der Gesellschaft ausmachen könne, so Pfarrer Klaus Endter.

 

Es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen, die aus eigener Erfahrung aus der Zeit um den Zweiten Weltkrieg herum berichten können – viele haben zum Beispiel die Internierung im Konzentrationslager Auschwitz nicht überlebt. Und wenn sie überlebt haben, so sind sie in den vergangenen Jahren aufgrund ihres Alters verstorben. Das ist Bogdan Bartnikowski (91) und Barbara Doniecka (89) bewusst, aber sie betonen, dass sie, solange ihnen die Kräfte dafür reichen, von dem erzählen, was sie als Überlebende von Auschwitz-Birkenau erlebt haben. Sie sind sich zudem einig, dass man – besonders jungen Menschen – bewusst machen müsse, was in der Geschichte passiert sei.

 

So sitzen die Zeitzeugen in leicht erhöhter Position und die Zuhörer und Zuhörerinnen folgen den Worten – es ist still und als das Gesagte der Zeitzeugen übersetzt wird, ist es noch stiller.

 

Sie waren noch Kinder, als sie in das Konzentrationslager gebracht wurden. Bogdan war 12 und Barbara 10 Jahre alt. Getrennt von ihren Eltern waren sie auf sich allein gestellt und mussten im Konzentrationslager unter menschenunwürdigen Bedingungen leben – und zum Glück haben sie es überlebt, was an ein Wunder grenzt, wenn man bedenkt, dass Auschwitz-Birkenau ein Vernichtungslager war.

 

Barbara Doniecka berichtet von ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau: nachts sei sie mit ihrer Mutter in einem Viehwagon dort angekommen und sofort als „polnische Schweine“ beschimpft worden. Die SS-Männer machten Barbara besonders wegen ihrer Gewehre und der abgerichteten Schäferhunde Angst. Obwohl die Ankunft mitten in der Nacht gewesen sei, so sei es wegen der vielen Scheinwerfer und dem Feuer aus dem Krematorium sehr hell gewesen – „Ich glaubte, ich sei in der Hölle gelandet“, so Barabara Doniecka.

 

Bogdan war 12 Jahre alt, als er nach Auschwitz-Birkenau kam – ein Junge, der nichts Schlimmes verbrochen hatte und auch nicht aktiv am Aufstand in Warschau beteiligt war. Er wurde verhaftet und in die Hölle von Auschwitz gebracht wie auch alle anderen Bewohner und Bewohnerinnen seiner Straße – egal ob jung oder alt, ob Frauen, Männer oder Kinder. Die deutsche Wehrmacht verfolgte nämlich die Strategie, Stadtteil für Stadtteil Warschaus zu entvölkern und die Häuser zu sprengen. Seinen Vater, ein Widerstandskämpfer, sah er am 9. August 1944 das letzte Mal und von der Mutter wurde er auch getrennt. Nun musste er mit anderen Kindern, die in der Regel zwischen zehn und vierzehn Jahre alt waren, in einer gesonderten Baracke auf dem Gelände des Konzentrationslagers in menschenunwürdigen Umständen leben – überleben.

 

Aber auch die Erzählungen von Frau Podbielska über ihre Mutter, die in Auschwitz inhaftiert war, und die von Zbigniew Branecki über seinen vor zwei Jahren verstorbenen Vater berühren die Zuhörer und Zuhörerinnen sichtlich.

 

Das Team der AG Medientechnik ist an dieser Stelle auch sehr zu loben, da sie nicht nur die Technik, also zum Beispiel das Funktionieren der Mikrofone, sicherstellten, sondern auch für Getränke und Kekse sorgten, was für eine aufgelockerte Atmosphäre im zweiten Teil des Zeitzeugengespräches sorgte. Nun hatten die Schüler und Schülerinnen die Gelegenheit, innerhalb kleiner Gesprächsrunden gezielt ihre Fragen an die Zeitzeugen zu richten und es kam innerhalb der Gesprächskreise zu einem regen Austausch. Barbara Doniecka war sehr beeindruckt von der Aufmerksamkeit der jungen Zuhörer und auch Pfarrer Klaus Endter war überwältigt vom großen Interesse. Er betonte in diesem Zusammenhang, dass es den Zeitzeugen immer sehr schwerfalle, von den Erlebnissen zu berichten, da dadurch auch immer wieder „alte Wunden“ aufgerissen werden.  

 

Anhand folgender Äußerungen verschiedener Schüler und Schülerinnen wird deutlich, wie beeindruckt sie waren:  

 

Das ist erlebte Geschichte“,

 

Das sind echte Erfahrungen aus der Geschichte, die uns kein Geschichtsbuch vermitteln kann“,

 

Ich bin sehr beeindruckt, wie positiv dieser Mensch in die Zukunft blicken kann, obwohl er so etwas erlebt hat“ oder

 

Ich habe großen Respekt, dass sie darüber reden – und zwar ihr Leben lang“.

 

 

 

Es war für alle Beteiligten ein Vormittag, der mit Sicherheit in Erinnerung bleibt und auch zum Nachdenken anregt.

 

 

 

                               „Man darf ein Leben nicht auf Vergeltung und Rache aufbauen,

 

                               denn das zerstört auf Dauer einen Menschen.

 

                               Man kann ein Leben auf Dauer nur auf Vergebung und Liebe aufbauen.“

 

                                                                                                                                              Bogdan Bartnikowski    

 

(Nadin Pichotta)

 

Beiträge über Zeitzeugengespräche an Schulen

Seit ca. 10 Jahren führt ZEICHEN DER HOFFNUNG in Wiesbaden / Mainz und in Oberhessen Zeitzeugengespräche durch. ZdH lädt hierfür zweimal im Jahr für eine Woche drei ehemalige polnische KZ Opfer ins Rhein-Main Gebiet bzw. nach Oberhessen ein. In der Regel können wir in fünf Schulen Gespräche anbieten und gelegentlich eine Abendveranstaltung für Interessierte aus der Region. Im Rahmen von Interviews sprechen unsere Gäste über ihre schweren Erfahrungen in den KZs und ihre Ängste, nach 1945 nach Deutschland zu kommen.

 

Die Schulklassen bereiten sich intensiv auf die Begegnungen vor, es herrscht eine hohe Erwartungshaltung. Unsere Gäste werden herzlich und mit großem Respekt empfangen. Nach dem Gespräch werden wir oft zu einem kleinen Imbiss oder Mittagessen eingeladen. Es ist immer wieder bewegend, wie emotional die Begegnungen zwischen Schülerinnen und Schülern und den Zeitzeugen verlaufen. Manchmal ergeben sich auch weitergehende Email- Kontakte zu den Gästen.

 

Unsere polnischen Gäste freuen sich inzwischen darauf, mit uns die Schulen zu besuchen. ZEICHEN DER HOFFNUNG sei für sie zu einer großen Familie geworden, mit der sie sich verbunden fühlen, so betonen sie. Für uns sind die Beziehungen zu diesen großartigen Menschen zu einem besonderen Schatz geworden. Versöhnung wird hier lebendig und erfahrbar.

 

Die Wiesbadener Albrecht-Dürer-Friedensschule hat diese Gespräche mittlerweile in ihr Schulprogramm übernommen. 

Das letzte Zeitzeugengespräch fand dort im August 2019 statt. Drei Zeitzeugen berichteten dem Jahrgang 10 aus ihrer eigenen Geschichte. Begleitet wird das Projekt dabei immer auch pädagogisch durch Mitglieder des Vereins, aber natürlich auch durch Lehrkräfte der jeweiligen Schulen. 

 

Johannes Geertsen, Mitglied im Vorstand von Zeichen der Hoffnung und Geschichtslehrer, bereitet diese Gespräche vor und begleitet seine Schüler/innen durch diesen wichtigen Vormittag: "Wenn die Schülerinnen und Schüler persönliche Geschichten von Menschen erfahren, ist das was ganz anderes als etwa einen Film anzuschauen oder ein Buch zu lesen. Die Nähe, die während dieser Gespräche im Klassenraum entsteht, die kann man filmisch nicht ersetzten."